17 Millimeter, Red Moon/East West – meine Platte des Jahres 99
Betrachtet man einmal jenseits sämtlicher Rente-mit-60-Diskussionen den Beruf der Diva, wird man um die ehrwürdigste Vertreterin dieser Innung wohl kaum herum kommen: Hildegard Knef. Fast zwanzig Jahre nach ihrem letzten Solo-Album und sechs Jahre nach ihrem überraschenden Revival-Erfolg von “Für mich soll’s rote Rosen regnen” mit der Rockband Extrabreit hat sich die nunmehr 74-Jährige mit einer neuen Produktion zurück gemeldet.
Ihre brillianten Texte, die mit seismographischem Spürsinn all die tiefen, sehnsuchtsvollen und schamhaft verhüllten menschlichen Seelenzustände erfassen, werden durch die Kompositionen des bereits recht angesehenen jungen Jazztrompeters Till Brönner, der sich auch als Arrangeur vieler Stücke verdingte, auf das Talentierteste begleitet. Wunderbar zu überprüfen ist dies unter anderem bei “Eins und Eins” und der Namensgeberin des Albums: “17 Millimeter”.
Leichtfüßig und doch voll Selbstironie purzelt uns hier eine Knef entgegen, die Weisheit verbreitet ohne schulmeisterlich zu wirken. Doch sie schlägt nicht nur jazzige Töne an, auch Rap und Samplings finden Eingang in ihre Stücke. Dies ist auch gar nicht weiter verwunderlich, denn neue Impulse haben die Diva noch nie abgeschreckt. Wer jedoch bei dem Stichwort Jazz von der leichtbeschürzten Muse zubereitete Schonkost erwartet, sei vorgewarnt; Hildegard Knef ist nicht leicht verdaulich und immer auch etwas unbequem.
Doch alldenjenigen, die einen musikalischen Diva-Fernkurs absolvieren wollen, oder denen, die den Verschrobenheiten, die ausgeflippte Heldinnen so mitsich bringen, zumindest zärtlich zugetan sind, sei diese Platte ans Herz gelegt. Denn eines ist klar, sollte “Diva” angesichts der Tatsache, dass diese in der Öffentlichkeit immer weniger werden, in näherer Zukunft zum Lehrberuf avancieren, Hildegard Knef wäre des Nachwuchs verbrieft-qualifizierte Ausbilderin.
Red Moon/EastWest Nr. 3984-29763-2
erschienen in: Kreiszeitung/Das Magazin, 31.12.1999, Seite 3