“Das ist nicht etwa die Presse, die da Fotos von uns macht, sondern das Gesundheitsamt, das nicht versteht, warum so alte Knacker wie wir noch arbeiten.” Einnehmend selbstironische Worte von Pete York gleich zu Beginn. Warum die vier Engländer noch auftreten wird in dieser humorvollen Einschätzung auch schon klar: Sie haben einfach Spaß daran. Außerdem eignet sich so eine Deutschland-Tournee hervorragend, um Solo- und Gruppenprojekte der derzeitigen Mitglieder Spencer Davis (guit, voc), Pete York (drums, voc), Colin Hodgkinson (bass, voc), Norman D. (keyb) und Miller Anderson (guit, voc) zu promoten und nebenbei gleich noch die eine oder andere CD zu verkaufen. Pete York, neben Spencer Davis das letzte verbliebene Gründungsmitglied von 1963 (damals noch mit Steve und Muff Winwood) ist einer der wenigen singenden Drummer der Musikszene überhaupt und ein Meister darin, das Publikum mit unerwarteten Anekdoten zum Lachen zu bringen. So behauptete er zum Beispiel, “einige Pfennige jeder verkauften CD kommen Kinder, deren Gehirne auf dramatische Weise von Ausserirdischen gestohlen worden sind, zu Gute. So, who wants to help the Kellys…?! “.
Keyboarder Norman D., seines Zeichens Münchner und für die Tournee zu den Engländern gestoßen, überraschte mit unerwarteten Neuarrangements zum Beispiel von “Norvegian wood”. Auf diese Weise nutzte die Band die Möglichkeit, den Bereich der bloßen Reproduktion schnell zu verlassen. Die Chance, seine virtuosen Fähigkeiten vollends unter Beweis zu stellen, erhielt er schließlich während des Klassikers “I’ m a man”. Mit geschlossenen Augen spielte er in völliger Hingabe, bis nur noch er und Pete York auf der Bühne übrig waren. Ein wunderbarer Dialog von Schlagzeug und Keyboard entwickelte sich und bezauberte das Publikum.
Die Vielseitigkeit der Combo resultiert grundlegend aus der Unterschiedlichkeit der einzelnen Mitglieder. Wenn Colin Hodgkinson Perlen des Blues zum Vortrag brachte, schienen die Besucher der Fabrik seltsam still. Als entwickelten sie ein tieferes Verständnis dafür, was es heißt, “den Blues zu haben”. Miller Anderson hingegen erzeugte durch seine Interpretation von “House of the rising sun” und der eigenen Komposition “Frog on the Highway” eine ganz andere Art von Melancholie. Selbstverständlich war auch Spencer Davis, ebenfalls Gründungsmitglied und Namensgeber, nicht unwesentlich am Erscheinungsbild der Band beteiligt. Er rockte routiniert, flachste und flirtete mit den Gästen und rundete das Konzerterlebnis angemessen ab.
Der Spaß, den die “Jungs” auf der Bühne hatten, übertrug sich in angenehmer Weise auf die Zuschauer. Am Ende blieb für die geneigte Konzertbesucherin eigentlich nur noch eine Frage offen: Warum verziehen Gitarristen auf der Bühne eigentlich immer die Gesichter so komisch?
Fabrik, Hamburg, 6.7.1998
erschienen in: access all areas 9/98